Mittwoch, 29. März 2017

Parting Words und das Schwarze Loch

Das Kreuz habe ich damals von meinem Schulleiter zum Abschied bekommen, zusammen mit dieser Rede.

"Dr Hilarius ist seit dem 10. Februar 2014 als Vertretungslehrkraft an der Nordseeschule tätig. Er ist dabei zu einer Art Springer geworden, der sowohl am Gemeinschaftsschulteil als auch am Gymnasium tätig war, mit laufend wechselnden Verträgen. Vornehmlich hat er dabei das Fach Englisch unterrichtet, sein zweites Fach Latein nahm weniger Raum ein (yeah, like, gar keinen, Anm. des Autors), aber auch in Religion wurde Dr Hilarius im Gemeinschaftsschulteil eingesetzt.
Ich werde meine weiteren Worte nun mit Bedacht wählen, aber da uns der werte Doktor ja einen satirischen Vortrag angekündigt hat und mit Spott und Bösartigkeiten droht, will ich das als eine Art Intro schon einmal vorbereiten. Also, Dr Hilarius, nicht böse sein, ist nur Satire! Ich fasse mich auch ganz kurz, der Auftritt gebührt Ihnen.
Wenn unser lieber Doktor eine Farbe wäre, dann wäre das gewisslich schwarz. Ich denke aber, dass schwarz viel mehr ist als eine Farbe. Schwarz ist eine Haltung, die bei der verträumten Jugend häufig mit Rebellion und Selbstfindung in Verbindung gebracht wird. Vermutlich kommt er deshalb auch besonders im Gemeinschaftsschulteil bei so vielen Kindern gut an, er ist einer von ihnen. Zur Hilariösen Selbstfindung habe ich dabei die Theorie, dass er sich sehr bewusst für schwarz entschieden hat, denn die einzig denkbare Hilarius-Variante wären nicht etwa blau, grün oder von mir aus auch rot gewesen. Die einzig denkbare Hilarius-Variante wäre rosa gewesen. Und rosa ist natürlich, ähnlich wie schwarz, keine Farbe. Rosa ist ein Gefühl. Der Glaube, dass es sich hier um eine Farbe handelt, hält sich ja seit Jahren hartnäckig, wurde aber, wie ich finde, inzwischen hinlänglich widerlegt. Das Gefühl lässt sich am besten mit den häufig zitierten Worten eines vierjährigen Mädchens umschreiben: „Ich will eine Prinzessin werden.“ Das ging unserem lieben Doktor dann doch zu weit, also sollte es schwarz sein.
Was beinhaltet jetzt so ein echtes Hilarius-Schwarz. Es sind ja nicht nur die notwendigen Utensilien wie Haare färben, Fingernägel lackieren und ein Totenkopf pro Kleidungsstück, das kann jeder, das wäre ein normal begabtes Schwarz. Ein hochbegabtes Schwarz verbindet diese Zutaten mit einer überraschenden Zuverlässigkeit, Empathie und viel Freude am pädagogischen Arbeiten. Ein hochbegabtes Schwarz weiß (rhetorisches Mittel!) um seine Stärken, sieht aber auch seine Schwächen. Ein hochbegabtes Schwarz ist damit viel mehr als die Summe seiner Äußerlichkeiten.
Ich stelle abschließend fest, und das verstehen Sie jetzt bitte richtig: Jede Schule braucht einen Dr Hilarius - aber keine könnte mehr als einen aushalten.
Also, lieber Dr Hilarius, bleiben Sie besonders, ich drücke Ihnen die Daumen, dass Sie schnell eine Brennpunktschule finden, die genau nach Ihnen gesucht hat. Ich wünsche Ihnen für die weitere berufliche und private Zukunft alles erdenklich Gute."

(Der Schulleiter der Nordseeschule in St.Peter-Ording, anno 2016)

post scriptum: Ich habe die wunderbar vorbereitete Gelegenheit dann nicht genutzt, um den breit angekündigten satirischen Vortrag zu halten, sondern bin ein einziges Mal in diesem Leben ernst geblieben und habe von der Horizonterweiterung berichtet, die ich in jenen zwei Jahren am Gemeinschaftsschulteil erfahren durfte.
Ich habe ein wenig allegorisiert mit der Theorie vom Schwarzen Loch, was den ebenfalls anwesenden Physikkollegen sehr gefreut hat. Das Schwarze Loch ist ein mittlerweile nachgewiesenes Objekt im Weltraum. Seine Masse ist unglaublich groß, daher hat es eine unglaublich hohe Gravitation. Man kann ja mal die Masse der Erde und ihre Gravitation betrachten; die Gravitation/Anziehung eines Schwarzen Lochs ist so hoch, dass ihr nichts entkommen kann, nicht einmal Lichtpartikel. Daher erscheint es als schwarz. Man kann erahnen, wie groß die Masse des Objektes sein muss, der alles hinzugefügt wird, was den sogenannten "Ereignishorizont" überschreitet und damit kontinuierlich vom Zentrum und der dort vermuteten "Singularität" angezogen wird. Was also wissen wir über Schwarze Löcher?

1) Niemand weiß, was hinter dem Ereignishorizont liegt.
2) Niemand weiß, was genau in der Mitte passiert.
3) Niemand war je dort und kehrte zurück, um davon zu berichten.
4) Da fliegt alles Mögliche rein.
5) Womöglich liegt dort der Schlüssel zum Erforschen der Gravitation. = eine große Erkenntnis 

Diese Punkte werden im Film "Interstellar" sehr anschaulich und wissenschaftlich akkurat abgehandelt. Und ich habe sie übertragen - daher allegorisiert - auf den Gemeinschaftsschulteil in St.Peter-Ording:

1) Jeder weiß, dass es ihn gibt.
2) Niemand weiß, was genau dort passiert.
3) Da kommen alle möglichen Schüler hin.
4) Man hört nicht viel Gutes und hat daher Angst davor, niemand will sich ihm nähern.
5) Niemand (keine Lehrkraft) ist von dort zurückgekehrt und konnte Gewinnbringendes berichten (andere Springerlehrkräfte scheinen es als Horror-Erfahrung beschrieben zu haben).
6) Womöglich kann man dort eine ganze Menge lernen.

Und so habe ich meine Arbeit dort mit dem Erforschen des Schwarzen Lochs verglichen. Denn sicherlich war es harte Arbeit. Physisch und psychisch wesentlich anstrengender als Alles am Gymnasialteil, und das trotz des "SPO-Paradigmas", das seeeeeeehr viel möglich gemacht hat, was umso unmöglicher wird, je näher eine Schule an Kiel liegt.
Viel ist schiefgegangen und viele Rückschläge habe ich eingesteckt. Aber ich habe unglaublich viel gelernt durch diese Arbeit. Über das Menschsein, über das Kindsein, über Zusammenarbeit, über Vertrauen, über Kommunikation, über "echte" Pädagogik und über mich selbst. 

Und deswegen habe ich den eher ernsthaften Tenor meiner Abschiedsworte in SPO dazu genutzt, um mich bei allen Beteiligten, die von beiden Schulteilen gekommen waren, zu bedanken, mit den ihnen gebührenden Worten, für diese tolle Erfahrung. Und um den Kollegen des Gymnasialteils vorzuschlagen, dass sie selbst diesen Versuch einmal wagen, in der Hoffnung, dass sie vielleicht eine ähnlich ertragreiche Erfahrung machen können wie ich.

Ich vermisse die Schule und alle am Schulleben Beteiligten wirklich unbeschreiblich.
Bisher habe ich so etwas leider noch nicht wieder erleben dürfen. 

post PS scriptum: "Er ist einer von ihnen" wurde an meiner Husumer Schule *gegen* mich verwendet. Könnt Ihr Euch mal einigen, ob das etwas Positives oder Negatives ist? Lässt Rückschlüsse auf die Schulleitung zu... 

Case in point: Never judge a book by its cover.

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