Dienstag, 18. Oktober 2016

Die Zimtsterne (der Katastrophenthriller!!!)


Disclaimer: Danke an Daphne DuMaurier, Alfred Hitchcock und Bahlsen für die Inspiration!

Ein ganz normaler Herbsttag, so dachten wir. Jeder geht seinen Aufgaben nach - die verrückte Buba geht duschen, die fette Schwangere lässt sich von ihrem Balg treten (ich darf das sagen - immerhin passt sie in keinen Kleinwagen-Kofferraum mehr und braucht im Zug einen Sitz-Vierer allein für ihren Bauch; sie muss Zugreisen derzeit bei der Bahn anmelden, damit ein zusätzlicher Waggon angehängt wird. Schwangerschaft muss echt nervig sein...)  und ich versumpfe in meiner vollkommen verdreckten Wohnung. Nichts Besonderes soweit, im Hintergrund ein bisschen Musik, um mich zu entspannen von dem Koffein-Schub, den eine kleine Tablette bei mir bewirkt hatte, um mich aus dem Nebel des spätmorgendlichen Erwachens herauszukatapultieren. Verschlafen, was auch sonst. Mist. Meine Eltern würden sich freuen, ich habe sie bereits vor zwei Stunden anrufen wollen. Und das Ganze auch noch großspurig angekündigt. Ich sollte echt überhaupt nichts mehr ankündigen, sonst wecke ich nur falsche Erwartungen. Ob die Womsa-Buba dieses Gefühl kennt? Und die Rocky-Baby-Mountains?

Ich brauche eine halbe Ewigkeit zum Aufräumen, schaue mich erleichtert um und es sieht genauso mies aus wie immer. Naja, zum Glück sind Ferien, irgendwann werde ich den Antrieb finden, diese ganze Wohnung niederzubrennen und neu aufzubauen. Neu anzufangen, als neuer Mensch, als besserer Mensch. Yeah, whatever, ich brauche erstmal nen Tee, um mich von innen heraus aufzuwärmen, das scheiß Wetter kriecht selbst bei geschlossenen Fenstern und heruntergezogenen Rollos durch meinen Pullover, durch die Haut, tief in die Knochen und erzeugt in mir ein Unbehagen, das ich jetzt mit aller Gewalt auszutreiben versuche. Mein Schlechtwetter-Exorzismus besteht aus Tee, Keksen, Dunkelheit, Stimmungslicht und Lara Coft. Ach scheiße, der Anruf bei meinen Eltern. Und ich will ja - okay, warte, erstmal die Stimmung etwas besser werden lassen, die ist direkt nach dem Aufstehen immer so durchwachsen. Und dann rufe ich an, gibt schließlich vieles, was ich mitteilen möchte. Und es sollte noch mehr werden.

Aber zuerst mal Tee und Kekse, während das Koffein mich noch wacher macht und Blümchen-Msik durch die Wohnung wummert und meine frisch eingezogenen Studenten-Nachbarn ihre ersten Uni-Tage bereuen lässt. Und Lara steht in der sibirischen Landschaft bereit, Tiere zu jagen und aus deren Pelzen eine neue Jacke zu basteln, hat sie wohl auch bitter nötig, denn die ganze Zeit höre ich sie zittern und sehe ihren Atem in der kalten Luft - wie großartig, wo ich dieses Wetter doch eigentlich ausblenden wollte. Der Tee kocht auf dem Herd, super, und ich zünde die Nag Champa-Räucherstäbchen an, ich brauch jetzt einfach ein süßes Aroma, ha, Stichwort süß, ich brauche Kekse und öffne den Schrank, um die Zimtsterne ihrem Schicksal zuzuführen. Doch... was? Lebkuchen. Gefüllt. Marzipan. Keksmischung. Aber - keine Zimtsterne???

Wie kann das sein! Ich habe vorgestern erst ein paar Packungen eingekauft, im Supermarkt scheint meine Einkaufstasche auf Zimtsterne eine Wirkung auszuüben wie ein schwarzes Loch, die werden aus den Regalen direkt eingesaugt - dieses zarte, aromatische Gebäck scheint es irgendwie auf mich abgesehen zu haben, denke ich dann immer. Und meistens ist es so, dass ich - zuhause angekommen - die erste Ladung direkt inhaliere, noch bevor die meinen Süßigkeitenschrank überhaupt von innen zu sehen bekommt. Das geht ganz schnell, so ein halbes Pfund ist mit zwei Atemzügen vernichtet. Ach herrje... und ich hatte zuletzt nur drei Kilo eingekauft, und das ist jetzt zwei Tage her - das erklärt alles. Wie kann ich nur glauben, dass da noch ein herrenloser Zimtstern meine vernichtenden Atemzüge überlebt hätte und dem Gehege meiner Zähne entkommen wäre?

Angst. Keine Zimtsterne da! Lara muss warten, friert immer stärker, ich sehe, wie sie den Kältetod stirbt und ich erhalte tatsächlich eine Trophäe dafür, dass sie zum ersten Mal gestorben ist. Der Tee verkocht auf dem Herd fast, aber ich habe dafür keinen Nerv, was tue ich gegen dieses Keksdesaster? Draußen höre ich die Sirenen der Krankenwagen und sie tragen nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Katastrophe! Und dann klopf es an mein Fenster.

Es klopft? Wie kann das sein, ich wohne im dritten Stock an einer Kreuzung und habe da draußen keine direkten Nachbarn. Und wieder und wieder klopft es, und ich höre ein Klappern auf meinem Vordach, als ob jemand etwas gegen mein Fenster wirft. Und wieder die Sirenen, und plötzlich höre ich zusätzlich zu den Einsatzwagen die große Hasseer Katastrophensirene, was ist da los??? Ich öffne die Rollos und kann meinen Augen nicht trauen: Unten auf der Kreuzung eine Riesenkarambolage, die sich vor meinem Blick entfaltet. Ein Sky-Laster liegt quer über alle Fahrspuren verteilt, und ich muss nicht lang überlegen, was er wohl geladen haben mag. Die Plane ist komplett zerstört und ich sehe den gigantischen Berg Zimtsterne mit Glasur, der sich wie eine Wüstendüne über die Kreuzung ausbreitet. Eine dichte Wolke aus dem Nebel gemahlener Haselnüsse wabert die Straßen entlang, und an der Bushaltestelle sitzt die Womsa-Buba mit weit geöffnetem Mund und einem seligen Lächeln auf ihrem Gesicht - ganz im Gegensatz zu den anderen Menschen, die in Panik fliehen und um Einlass in die Häuser bitten. Was ist ihr Problem?

Ich muss nicht lange überlegen, denn das Klopfen an meinem Fenster setzt sich fort und wird immer aggressiver. Erst jetzt realisiere ich, dass es Zimtsterne sind, die gegen das Glas fliegen. Das kann doch gar nicht sein, wer wirft hier dieses wunderbare Gebäck herum? Die Menschen können es nicht sein, sie fliehen (mit Ausnahme der sich mästen lassenden Frau mit dem Poncho da unten), haben sich bereits in ihren Wohnungen eingeschlossenen und der Rest verteilt sich in Form von Leichen über die Bürgersteige - erschlagen und erstickt von einem Sturm aus Zimtsternen, die ein mörderisches Eigenleben entwickelt zu haben scheinen. Millionen von Zimtsternen erheben sich aus dem Wrack des Lasters, doch dabei soll es nicht bleiben - aus den Seitenstraßen stürmen Abertausende bösartiger Vanillekipferl herbei, die in kürzester Zeit den gesamten Luftraum über Kiel in Beschlag nehmen. Die Wucht der Schläge gegen das Fenster wird immer stärker, und ich sehe, wie die großen Frontscheiben des Supermarkts unten zu Bruch gehen und eine weitere Armee aus Zimtsternen sich den Weg aus dem Geschäft in die Freiheit bahnt.

De Menschen fallen wie Dominosteine (die zum Glück noch nicht zum Leben erwacht sind), gnadenlos stopfen sich ihnen die Zimtsternen in die nach Luft ringenden Mäuler, die Opfer kauen hilflos gegenan und schlucken Zimtstern um Zimtstern herunter in dem verzweifelten Versuch, der außer Kontrolle geratenen Wut des Weihnachtsgebäcks Herr zu werden - doch es ist vergeblich. Sie sterben den Heldentod, während die Zimtsterne unerbittlich ihren Feldzug gegen die Bevölkerung fortsetzen. Was hat sie nur so wild werden lassen? Was können wir tun? Bleibt uns etwa nur noch, zu fliehen? Und wie schafft La Buba es, fröhlich lächelnd weiter gegenan zu essen? Sollte sie es etwa sein, die uns letztlich vor der Herrschaft der Zimtsterne retten kann?

Doch sie schafft es nicht. Ich sehe ein: Wir haben verloren gegen die Invasion der knusprig-leichten Kekse. Wir werden wohl nie erfahren, was sie in diese Raserei versetzt hat. Berge von Zimsternen haben die Stadt Kiel unter sich begraben und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die ganze Welt der Herrschaft des Weihnachtsgebäcks unterworfen ist. Ich sehe, dass ich diesen Angriff niemals werde überleben können, und beschließe, meinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Niemals werde ich den Zimtsterntod sterben! Hoch erhobenen Hauptes greife ich ein letztes Mal in den Schrank und greife zu meiner Waffe. Und wenn sie irgendwann meine Wohnung durchsuchen, werden sie mich finden und alle Welt wird wissen, das ich mich den Zimtsternen bis zu meinem letzten Atemzug widersetzt habe. Sie werden es erkennen an dem Marzipanstollen, der aus meinem Mund ragt.

Und die Buba? Ja, in der Tat, sie hat das Gebäckdesaster überlebt. Tagelang hat sie gegenan gefressen, bis die unerbittliche Wut der Kekse sich gelegt hatte. Doch letztlich zeitigt eine solche Katastrophe totale Zerstörung, und auch die Buba fiel dem Schock ihres Lebens zum Opfer... am Tag, als sie auf die Waage trat.

post scriptum: Sorry, aber manchmal packt mich der Schalk und ich muss solchen Unsinn schreiben. Wer mehr davon möchte, darf gern einmal hier nachschauen - Schnellkasse 2 - Die Kontrollwaage schlägt zurück, Im Auge des Sturms, Entschleunigung, Expeditionen ins Badreich.

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